Jeder vierte Arbeitnehmer plant oder kann sich vorstellen, innerhalb des kommenden Jahres den Job zu wechseln, wie aus einer aktuellen Umfrage hervorgeht. Die Ursachen ermittelten die Analysten in erhöhtem Arbeitsstress und mangelnder emotionaler Bindung an den Arbeitsplatz und Arbeitgeber. Der Ratschlag an die Unternehmen lautet, der Kündigungswelle 2022 mit gezielterer Bindung ihrer Beschäftigten entgegenzuwirken.
Vorboten der großen Resignation
Die Studie wurde von den Marktforschern des Unternehmens Gallup durchgeführt. Sie interpretieren die Ergebnisse als Vorboten einer großen Resignation, die in den USA schon etwas länger zu beobachten ist. Dort haben in den letzten zwei Jahren (seit Ausbruch der Coronapandemie) mehrere Millionen Arbeitnehmer*innen ihren Job gekündigt. Viele von ihnen fanden eine neue Beschäftigung, doch Manche sind bis heute (April 2022) daheim geblieben. Diese Resignation könnte nun auch auf Deutschland übergreifen. Gallup befragte ab November 2021 bis zum Jahresende 1.500 Arbeitnehmer*innen. Hier sind einige Ergebnisse der Studie in Zahlen:
- Satte 69 % aller Arbeitnehmer*innen sprachen von einer sehr geringen Bindung an ihren Arbeitgeber.
- Die Bindung war schon immer niedrig. Während der Coronapandemie hat sie sich sogar um wenige Prozentpunkte erhöht, aber verstärkter Stress erhöht dennoch die Kündigungsbereitschaft.
- 36 % der Arbeitnehmer*innen fühlen sich ausgebrannt.
- Der Anteil der Arbeitnehmer*innen, die sich vorstellen können, in drei Jahren beim selben Unternehmen immer noch beschäftigt zu sein, sinkt tendenziell.
- 14 % der Befragten gaben an, im Jahr 2021 aktiv nach einer neuen Stelle gesucht zu haben. Dies ist ein Spitzenwert der letzten Jahre.
Als beunruhigend bewerteten die Forscher von Gallup, dass prozentual in Deutschland aktuell eine höhere Wechselbereitschaft herrscht als während der letzten zwei Jahre in den USA. Dort verursachte die „Great Resignation“ inzwischen über 47 Millionen Kündigungen. Bei ähnlichen Befragungen hatten zuletzt aber nur 10 % der US-amerikanischen Beschäftigten angegeben, sich aktiv nach dem nächsten Job umzusehen. Daraus schließen die Experten des Meinungsforschungsinstituts, dass in Deutschland die große Kündigungswelle 2022 unmittelbar bevorsteht.
Stress als wahrscheinlicher Hauptgrund der Kündigungswelle 2022
Die Unzufriedenheit mit dem Arbeitgeber und der eigenen Tätigkeit schwelt wohl schon länger, doch der Hauptgrund für die Wechselbereitschaft dürfte der wachsende Stress sein. Dieser hat mehrere Ursachen. In der Phase der boomenden Wirtschaft seit 2015 wuchs der Druck auf die Arbeitnehmer*innen, weil die Unternehmen teilweise gar nicht genug Fachkräfte einstellen konnten. Also brummten sie ihren Beschäftigten Überstunden auf, welche diese aus finanziellen Gründen wohl zunächst auch gern durchführten. Doch dieser Zustand endete nicht, außerdem kamen ab 2020 die Belastungen durch die Pandemie hinzu. Das führte zu massiver Überforderung und Symptomen von Burnout bei vielen Beschäftigten, wie die Gallup-Forscher herausfanden. Der ansteigenden Zahl von echten oder verborgenen Burnouts steht gleichzeitig als gegenläufiger Trend eine sinkende Bereitschaft gegenüber, dem Arbeitgeber die eigenen Belastungen mitzuteilen. Lediglich 58 % reden noch offen mit dem Chef über ihre Überforderung. 2018 waren es noch 64 %.
Woher kommt die sinkende Bindung an den Job?
Dieses Phänomen ist nur schwer zu erklären. Offenbar macht die Arbeit heutzutage keinen Spaß mehr, verschafft nur wenig Reputation und wäre wohl auch leicht durch eine andere Tätigkeit ersetzbar. Immerhin würden heute 40 % aller Arbeitnehmer*innen nie wieder arbeiten, wenn sie es sich leisten könnten. Im Jahr 2015 lag dieser Wert bei nur 24 %. Die Menschen definieren sich also nicht mehr über ihren Job.
Was sollen die Arbeitgeber gegen eine Kündigungswelle 2022 unternehmen?
Es gibt mehrere Ansätze, wie Arbeitgeber der Kündigungswelle 2022 vorbeugen können. Sie sollten ihren Angestellten mehr Freiräume lassen, sie keinesfalls mit unnötigen Anweisungen und überbordender Kommunikation stressen, sowie ehrliches Interesse für ihre Belange zeigen. Mehr Gehalt ist ein mögliches, aber keinesfalls das einzige oder gar beste Mittel. Entlastungen wie ein Betriebskindergarten oder ein kostenloses Mittagessen könnten sogar höhere Effekte erzielen, so die Experten von Gallup. Nach ihrer Auffassung ist Eile geboten: Eine Kündigungswelle 2022 könnte die Wirtschaft zusammen mit Corona und dem Ukraine-Krieg in eine echte Rezession stürzen.
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